In Pankow – dem Bezirk, in dem ich wohne wurde dieses Jahre eine Frau auf offener Straße erstochen, von dem gewalttätigen Ex-Partner, nachdem sie sich an die Polizei und Behörden um Hilfe gebeten hatte. Und das ist weit nicht der einzige Berliner Fall von Femizid.
Unsere Gesellschaft und unsere Rechtsanwendung hinkt hinter her – andere europäische Länder sind sehr viel weiter. Grundlegende Sicherheit. Immer noch.
Und nein, das ist kein explizit spirituelles Thema und vor allem kein Wohlfühlthema. Aber empowerment von Frauen, in die eigene Kraft kommen – geschieht nicht im luftleeren Raum. Ich kann hier nicht jede Ungerechtigkeit verbalisieren, kein politisches Blog raus machen – will schon mich auf die Kernthemen fokussieren – aber keine Frau ist frei, bis die letzte Frau sicher und frei ist. Es geht uns alle an.
Hier kommt die Pressemitteilung im Wortlaut.
Strasbourg, 07.10.2022 – Die Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) begrüßt in ihrem ersten Bericht über Deutschland die straf-rechtlichen Maßnahmen, die vor und nach der Ratifizierung der Istanbul-Konvention durch Deutschland im Jahr 2018 ergriffen wurden, weist aber auch auf dringende Schritte hin, die Deutschland unternehmen sollte, um Frauen und Mädchen besser vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen.
Auf der Grundlage eines detaillierten Fragebogens und eines Evaluierungsbesuchs im vergange-nen Jahr – Treffen mit den zuständigen Beamtinnen und Beamten der Bundes- und Landesregie-rungen, Parlamentarierinnen und Parlamentariern und Vertreterinnen und Vertretern von mehr als 40 NGOs – deckt der GREVIO-Bericht, der heute zusammen mit der Stellungnahme der deutschen Regierung veröffentlicht wurde, den Zeitraum bis September 2021 ab. Soweit verfüg-bar, wurden wichtige gesetzliche und politische Entwicklungen bis Juni dieses Jahres berücksich-tigt.
Als positive Entwicklung lobt GREVIO die Einführung eines Straftatbestandes der Vergewaltigung und sexueller Gewalt, der auf der fehlenden Zustimmung des Opfers basiert, sowie den erfolgrei-chen Betrieb des nationalen Hilfetelefons. Die Expertengruppe begrüßt die ausdrückliche Krimina-lisierung von technologiegestütztem Missbrauch (wie z.B. Cyber-Stalking, unerlaubtes Fotografie-ren privater Körperteile, Teilen von Bildern im Internet und Stalking), die „in den letzten Jahren zu einem soliden Rechtsrahmen für die digitale Dimension der Gewalt gegen Frauen beigetragen hat“.
Es müssen jedoch noch gravierende Defizite behoben werden, die von einer unzureichenden Risi-koabschätzung der Situation von gewaltbetroffenen Frauen über eine bessere Anwendung von Schutzanordnungen und Eilschutzmaßnahmen bis hin zu fehlenden Unterstützungsdiensten und Frauenhäusern reichen.
Ein übergreifendes Problem ist das Fehlen eines nationalen Aktionsplans oder einer Koordinierung auf nationaler Ebene, wie in der Istanbul-Konvention gefordert. Während einige Pläne zur Beendi-gung von Gewalt gegen Frauen auf Landesebene mit Beispielen gelobt werden, ist GREVIO be-sorgt über die „Ungleichheit“ der Verfügbarkeit von Fachberatungsstellen, die sowohl zwischen den 16 Bundesländern als auch innerhalb einzelner Bundesländer „erheblich“ besteht.
Diese Ungleichheit spiegelt sich beispielsweise darin wider, dass es keine Beratungsstellen für von sexueller Gewalt betroffener Frauen und unzureichende Frauenhäuser gibt. Die geografische Ab-deckung und die Verfügbarkeit von Fachberatungsstellen sind unterschiedlich. In ländlichen Gebie-ten sind spezialisierte Unterstützungsdienste viel weniger etabliert oder konzentrieren sich haupt-sächlich auf häusliche Gewalt, so dass Opfer anderer Formen von Gewalt ohne angemessene Un-terstützung bleiben. In größeren Städten gibt es zwar grundsätzlich Beratungsangebote für die meisten oder alle Formen von Gewalt, aber das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und gewalt-betroffenen Frauen führt oft zu langen Wartelisten. In Berlin beispielsweise, einer Stadt mit 3,7 Millionen Einwohnern, gibt es nur eine Beratungsstelle für Vergewaltigungsopfer mit weniger als neun Mitarbeitenden und einer durchschnittlichen Wartezeit von zwei Monaten für eine Erstbera-tung.
Der Bericht hebt Fälle hervor, in denen gewalttätigen Vätern das Sorgerecht und das Besuchsrecht eingeräumt wird, ohne dass die Sicherheitsbedenken gewaltbetroffener Frauen und/oder Kinder ausreichend berücksichtigt werden. Die häufige Nichtgewährung von Schutzanordnungen kann dazu führen, dass die Sicherheit des Opfers und der betroffenen Kinder gefährdet ist. Die geringe Anwendung standardisierter Verfahren zur Risikoabschätzung in solchen Situationen verhindert die vollständige Ermittlung aller relevanten Risikofaktoren. Besteht der Verdacht, dass ein Tötungsdelikt auf eine mögliche Pflichtverletzung einer Behörde zurückzuführen ist, ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet zu untersuchen, ob eine Sorgfaltspflichtverletzung durch eine Beamtin oder einen Beamten vorliegt. Über die Anzahl und das Ergebnis solcher Ermittlungen liegen jedoch keine Informationen vor.
Darüber hinaus stellt der Bericht fest, dass „negative geschlechtsspezifische Stereotypen und Hal-tungen der Täter-Opfer-Umkehr in der deutschen Justiz fortzubestehen scheinen“. So wurde GREVIO von Anwältinnen und Anwälten, die im Bereich der häuslichen Gewalt tätig sind, darauf aufmerksam gemacht, dass die Begehung sexueller Gewalt gegen einen früheren oder jetzigen (Ehe)partner oder -partnerin eher als mildernder denn als erschwerender Umstand angesehen wird, trotz eines gegenteiligen Urteils des Bundesgerichtshofs.
Da Beschäftigte im Gesundheitsbereich oft als erste mit gewaltbetroffenen Frauen in Kontakt kommen, begrüßt GREVIO, dass das Thema „Prävention und Unterstützung bei Missbrauch und Gewalt“ in die Qualitätsmanagement-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses aufge-nommen wurde, so dass u.a. Kliniken, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und Therapeutinnen und Therapeuten seit November 2020 verpflichtet sind, ein sicheres Umfeld für Gewaltopfer zu bieten und als Anlaufstelle zu fungieren. In diesem Bereich tätige NGOs wiesen GREVIO jedoch darauf hin, dass es bei der Umsetzung der Richtlinien an Einheitlichkeit mangelt. So mangelt es beispielsweise an der Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitssektor und spezialisierten Fachberatungsstellen, und es fehlt an einer zuverlässigen Versorgung und standardisierten Über-weisungsmöglichkeiten. Der Bericht kritisiert eine „allgemeine Entkopplung“ zwischen dem Ge-sundheitssektor und anderen Diensten und Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Ge-walt.
Während GREVIO die Pläne der im November 2021 gebildeten Koalitionsregierung für eine ress-ortübergreifende politische Strategie gegen Gewalt sowie andere Ziele zur Stärkung der Umset-zung der Istanbul-Konvention begrüßt, fordert der Bericht die deutschen Behörden dringend auf, eine „unabhängige vergleichende Analyse“ der bestehenden nationalen, föderalen und lokalen Maßnahmen und Programme zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, einschließlich häuslicher Gewalt, durchzuführen, um Defizite sowie vielversprechende Ansätze zu ermitteln, die landesweit empfohlen werden können.
Eine bessere Ausbildung von Fachkräften verschiedener Berufsgruppen, die mit gewaltbetroffe-nen Frauen in Berührung kommen, ist dringend erforderlich. So bieten zwar fast alle Polizeiakade-mien auf Länderebene Ausbildungseinheiten zum Umgang mit häuslicher Gewalt an, Frauen-rechtsgruppen und in diesem Bereich tätige Expertinnen und Experten wiesen jedoch darauf hin, dass diese Kenntnisse zu grundlegend sind und in der Praxis nicht immer umgesetzt werden. Ver-tiefende Schulungen wären notwendig, nicht nur zu häuslicher Gewalt und ihrer Dynamik, einschließlich ihres geschlechtsspezifischen Charakters, sondern auch speziell zu sexueller Gewalt und zum Umgang mit Opfern.
Der Bericht stellt fest, dass Deutschland seit vielen Jahren ein Zielland für Asylbewerberinnen und Asylbewerber ist, und sich in bemerkenswerter Weise um ihre Aufnahme bemüht. Der Bericht weist jedoch auch auf „anhaltende Sicherheitsbedenken“ für Frauen und Mädchen hin, die in Sammelunterkünften untergebracht sind und denen es außerdem an ausreichender fachlicher Beratung und Unterstützung fehlt. GREVIO äußert „große Besorgnis“ über Anschuldigungen Be-hauptungen von Gefahren, die von Organisationen, die die Perspektive von asylsuchenden Frauen vertreten, geäußert wurden. Dazu gehören Berichte über unsichere Waschräume, unverschließba-re Zimmer oder Schlafräume, die nicht nach Geschlechtern getrennt sind, schlechte Beleuchtung, fehlende Rückzugsräume, Missbrauch durch Sicherheitspersonal und schlechtes Management von Vorfällen von Belästigung und Missbrauch durch männliche Bewohner, einschließlich der Nicht-durchsetzung von Schutzanordnungen gegen gewalttätige (Ehe)partner.
Der GREVIO-Bericht stellt unter anderem folgende Anforderungen an die deutschen Behörden:
- Einführung eines Systems, wie z.B. eines Überprüfungsmechanismus für häusliche Tö-tungsdelikte, um alle Fälle von geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen zu analysie-ren, mit dem Ziel, mögliche Defizite in den institutionellen Reaktionen auf Gewalt gegen Frauen zu identifizieren.
- Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Familiengerichten und spezialisierten Diens-ten und Fachberatungsstellen, die Opfer und ihre Kinder bei Verfahren zum Sorgerecht und Besuchsrecht unterstützen.
- Aufstockung des Angebots an Beratungsstellen für Vergewaltigungsopfer mit einer ange-messenen geografischen Verteilung im ganzen Land und Gewährleistung, dass alle weibli-chen Gewaltopfer kostenlosen Zugang zu speziellen Unterkünften für häusliche Gewalt haben.
- Einrichtung einer oder mehrerer nationaler Koordinierungsstellen, die vollständig instituti-onalisiert und beauftragt sind, alle in der Konvention vorgesehenen Aufgaben zu erfüllen, und die mit den erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sind.
- Sicherzustellen, dass alle Fachkräfte, die mit Opfern oder Tätern von Gewalt, die unter die Istanbul-Konvention fällt, arbeiten, eine Schulung zur Erkennung von und zum Umgang mit allen Formen von Gewalt gegen Frauen erhalten.
- Sicherzustellen, dass Asylbewerberinnen und Mädchen, die in Aufnahmeeinrichtungen le-ben, Zugang zu angemessenen Fachberatungsstellen haben.
- Prüfung des Bedarfs an weiteren Unterstützungsdiensten für Opfer von Zwangsheirat.
- Sicherzustellen, dass spezialisierte Beratungsstellen auch für LBTI-Frauen zur Verfügung stehen.
Die Zusammenfassung enthält weitere Empfehlungen.
Auf der Grundlage dieses Berichts wird der Ausschuss der Vertragsparteien, der sich aus Vertrete-rinnen und Vertretern der Vertragsstaaten der Konvention zusammensetzt, im Dezember dieses Jahres seine Empfehlungen an die deutsche Regierung veröffentlichen.